mb
Tycoon
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Nieder mit Bologna!
Nicht jeder ist zZt Student, also: was zum Teufel ist "Bologna"? Die Zeit erklärt es uns in absolut lesenwerter Form:
Zeit online schrieb:[...] Seit Jahren versucht man aus dem deutschen Studenten einen besseren, einen effizienteren Menschen zu machen. Ihm wurde das lästige Studium gestrafft, kontrolliert werden jetzt minutiös seine Leistungen, dicht gedrängt ist sein Stundenplan. Der Nichtsnutz aber blockiert neuerdings den Hörsaal und geht mit allerlei bunten Forderungen auf die Straße: Er will keine Studiengebühren zahlen. Er sagt, die neuen Studiengänge seien überreguliert, sie sollten wieder abgeschafft werden. Er sagt, er könne sich nicht frei entfalten. Kurzum: Der deutsche Student will wieder bummeln.
Und zwar völlig zu Recht.
Und warum?
Zeit online schrieb:[...] Es gab, mit anderen Worten, an den Universitäten einen Grad an Eigensinn, an Unordnung und an verrauchter Unspießigkeit, der den unternehmensberaterisch geschulten Reformer, der in den späten neunziger Jahren verbreitet aufkam und der sich um die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen sorgte, nur heillos empören konnte. Es wurde häufig angemerkt, dass der Reformeifer dem allerneuesten Marktradikalismus entsprang. Und man hat sich tatsächlich nicht einmal die Mühe gemacht, dies begrifflich zu vertuschen: Studienleistungen werden in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen nach »Workloads« berechnet, also nach Arbeitsaufwand, man sammelt »Credit Points«, Zielvorgaben von Universitäten werden mit den Plastikwörtern Mobilität, Flexibilität, Praxisbezug und Wettbewerb umrissen.
Womöglich soll derlei Vokabular ohnehin nur darüber hinwegtäuschen, dass die von oben herab verordneten Universitätsreformen deutlich Züge planwirtschaftlicher Leninisierung annehmen und Wettbewerb häufig nur simuliert wird. Nicht nur das unproduktive Anwachsen der Überwachungsapparate und die Erhöhung des Betriebsfaktors sprechen hierfür, sondern die Förderung ausgesprochen spezifischer Charaktere an den Hochschulen: [...] Der deutsche Professor nach neuem Wunschbild ist ein apparatschikhaft vernetzter Großorganisator von Studiengängen, Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereichen, der pflichtgemäß allerlei uninspirierte Sammelbände herausgibt, um seinen Brotgelehrtenfleiß zu dokumentieren. Ihm entspricht der Student, der sich nicht mehr um zwei Uhr nachts noch in Nabokovs Romane vertieft, sondern der um acht Uhr morgens frisch rasiert den Hörsaal betritt, um seinem Workload gerecht zu werden.
Denn die deutsche Universität also solche stand zu lange abseits der "europäischen Integrationsbemühungen":
Zeit online schrieb:Die genaue Messbarkeit, Planung und Steigerung der Arbeitsleistung war stets der Blütentraum des sozialistischen Idealfunktionärs gewesen, der die Individualisierung im Westen als »dekadent« und als »elitär« brandmarkte. Dieselben Kampfbegriffe werden heute von den Reformbefürwortern wieder völlig geschichtsvergessen angeführt, um die alte Ordinarienherrlichkeit zu denunzieren. Ihre Argumentation mündet zumeist in den Vorwurf, die Professoren seien faul und an der Lehre desinteressiert gewesen – deshalb sei man zu den umfassenden Kontrollmechanismen übergegangen, die nebenbei den schönen Vorzug hätten, gleich noch den trägen und orientierungslosen Langzeitstudenten mitzubeseitigen. Gustav Seibt hat in der Süddeutschen Zeitung vor Kurzem treffend angemerkt, dass der sogenannte Bologna-Prozess, die Idee eines europaweit vereinheitlichten, durch Modularisierung vergleichbar gemachten Studierens, in seinem negativen Menschenbild den Hartz-IV-Maßnahmen überraschend ähnelt.
Man setzt auf Zwang statt auf Anreize: So wie Hartz IV auf Arbeitsscheue und Transferleistungsabgreifer starre, richte sich das bürokratisierte Bologna-Studium an den angeblich zu Faulheit neigenden Studenten. Es sei überdies kein Zufall, dass die Reform ihre Befürworter »vor allem auf den ›Beruf und Chance‹-Seiten der großen Zeitungen findet«.
Zeit online schrieb:Man spricht nun allenthalben von »handwerklichen Fehlern«, die beseitigt werden müssten, und mahnt eine Reform der Reform an. Verständnis wird auch großherzig den Demonstrationen entgegengebracht. Wünschenswert aber wäre vielleicht, dialektisch gedacht, das Gegenteil: eine noch weitaus stärkere Gängelung, Einengung, Normierung des deutschen Studenten. Nur damit ließe sich seine Wut noch und hoffentlich endlich zu politischer Wirksamkeit steigern. Es ist die berechtigte Wut einer Jugend, die deutlich erkennt, dass sie um ihre Entwicklungschance betrogen wird.
Der ganze Artikel zum Selberlesen.
Gruß
Michael
Zitat:EU-Wirtschaft- und Währungskommissar Joaquin Almunia hat alle Besorgnisse über den Schuldnerstatus Griechenlands als unbegründet zurückgewiesen.
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